Sonntag, 4. März 2012

Victor Adler / Friedrich Engels, Briefwechsel


Die Korrespondenz zwischen Friedrich Engels und Victor Adler, berührt außer persönlichen Fragen insbesondere Überlegungen zu taktischen Problemen der Arbeiterbewegung.
Der vorliegende Band enthält den gesamten überlieferten Briefwechsel sowie Texte von Adler und Engels, auf welche in der Korrespondenz Bezug genommen wird.

In der Zeit eines Aufschwungs der Bewegung stellte sich für den führenden Vertreter der seit 1889 geeinten österreichischen Arbeiterbewegung und dem Veteranen, der fast 50 Jahre auf theoretischem wie praktischen Gebiet zur Entwicklung der Bewegung beigetragen hatte, die Frage, wie die Eroberung der politischen Macht, "die einzige Tür in die neue Gesellschaft", vollbracht werden könne. Es galt mit den Worten von Engels "den Stein ins Rollen zu bringen", um die Kettenreaktion auszulösen, die diese Tür öffnen würde.

Voraussetzung für die Diskussion des europäischen Sozialismus waren Massenstreiks der Arbeiter, Wahlerfolge, Demonstrationen, u. a. seit 1890 am 1. Mai in mehreren Ländern.
Wichtig wurden die Kämpfe um das Wahlrecht, die in Belgien einen erfolgreichen Ausgangspunkt fanden und in Österreich weitergeführt wurden.
Sie brachten Engels zu der Überzeugung, dass die österreichische Bewegung unter den gegebenen Umständen die "Avantgarde des europäischen Proletariats" bilden solle.

Da Massen neu in die Arbeiterbewegung strömten, waren sich die zwei Diskutanten einig, dass parteiintern offene Diskussionen eine absolute Notwendigkeit seien, "um nicht zur Sekte zu werden". Massenbewegung und gemeinsamer Standpunkt mussten vereinigt werden.

2 Kommentare:

  1. siehe auch:
    http://gkrejci.blogspot.com/2012/04/hofrate-der-revolution-posted-05-apr.html

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  2. Die Hofräte der Revolution

    Linksradikale Phrasendrescher, die in Engels einen der Säulenheiligen kompromissloser Revolutioniererei sehen, werden mit dem Engels, der sich in diesen Briefen zu erkennen gibt, keine große Freude haben. Gemeinsam mokieren sich der Pragmatiker Adler und der alte Engels über den linksradikalen "Rausch der Phrasen".

    Engels lobte Adlers Strategie des "Schritts vor Schritt", und als die Parteilinke im Wahlrechtsstreit für den revolutionären Generalstreik plädierte, gelang es Adler, die "revolutionäre Aktion" auf den Sanktnimmerleinstag zu verschieben, worauf Engels schrieb: "Zu der Art, wie Du den Generalstrike in den Schlummer gewiegt hast, gratuliere ich Dir …" Engels wiederum hielt der linken Opposition immerhin zugute, sie verhindere, dass die Partei in Spießigkeit versumpfe: "Die Opposition von links müsste erfunden werden, wenn man sie nicht hätte; nur würde man sie um eine Nuance gescheiter und anständiger erfinden."

    Es zeigt sich hier in der schönsten Offenheit, was Eingeweihte schon ahnen konnten: dass es Engels selbst war, der in seinen letzten Lebensjahren sachte jenen sozialdemokratischen "Revisionismus" begründete, der Reform vor Revolution stellte und später dann von Theoretikern wie Eduard Bernstein theoretisch begründet wurde.

    Dass hier gewissermaßen zwei reformistische Warmduscher unter sich waren, ist das Überraschendste an diesem Briefwechsel. Darüber hinaus bestechen die beiden berühmten Korrespondenten durch ihre (Selbst-)Ironie und ihren Charme.

    Adler schimpft auf die "Dummheit, Kleinlichkeit … im eigenen Lager", nennt sich und Engels "Hofräte der Revolution", mokiert sich über die "Phrasenmäuligkeit gewisser Genossen", während der alte Engels die guten Ratschläge des Arztes Adler folgendermaßen quittiert: "Ich treibe Diät nach Noten, behandle meinen Verdauungskanal wie einen mürrischen bürokratischen Vorgesetzten, dem man immer nach der Pfeife tanzen muss."

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