Dienstag, 29. Juli 2014

Der moderne Kapitalismus = eine oligarchische Gesellschaft?






Das Kapital im 21. Jahrhundert 
Gebundene Ausgabe 
von Thomas Piketty  (Autor), Ilse Utz (Übersetzer), Stefan Lorenzer (Übersetzer)

Der moderne Kapitalismus = eine oligarchische Gesellschaft?

Thomas Piketty, ein Ökonom, der sich seit etlichen Jahren mit dem von Anthony Atkinson und Emmanuel Saez geprägten Feld der Verteilungsverhältnisse in den kapitalistischen Gesellschaften beschäftigt, hat in der Wissenschaft und der öffentlichen Diskussion einen Bruch mit überlieferten Bewertungen und gesellschaftlichen Sichtweisen ausgelöst.Die »Piketty-Debatte«, so die Bewertung des US-Ökonomen Paul Krugman, läuft auf eine »Revolutionierung unserer Auffassungen von den langfristigen Trends in Sachen Ungleichheit«Das Schlüsselthema von Pikettys Untersuchungen ist die Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung. Er will die Gründe der sozio-ökonomischen Entwicklung aufdecken, die den modernen Kapitalismus mehr und mehr mit einer oligarchischen Gesellschaftsstruktur ausstatten.

"Das Kapital im 20. Jahrhundert" ist ein Werk von außergewöhnlichem Ehrgeiz, von großer Originalität und von beeindruckendem Rigorismus. Es lenkt unser ganzes Verständnis von Ökonomie in neue Bahnen und konfrontiert uns mit ernüchternden Lektionen für unsere Gegenwart.

- Wie funktioniert die Akkumulation und Distribution von Kapital?
- Welche dynamischen Faktoren sind dafür entscheidend?

Jede politische Ökonomie umkreist die Fragen nach der langfristigen Evolution von Ungleichheit, der Konzentration von Wohlstand und den Chancen für ökonomisches Wachstum. Aber befriedigende Antworten gab es bislang kaum, weil geeignete Daten und eine klare Theorie fehlten.

In "Das Kapital im 21. Jahrhundert" untersucht Thomas Piketty Daten aus 20 Ländern, mit Rückgriffen bis ins 18. Jahrhundert, um die entscheidenden ökonomischen und sozialen Muster freizulegen. Seine Ergebnisse werden die Debatte verändern und setzen die Agenda für eine neue Diskussion über Wohlstand und Ungleichheit in der nächsten Generation.

Piketty zeigt, dass das moderne ökonomische Wachstum und die Verbreitung des Wissens es uns ermöglicht haben, Ungleichheit in dem apokalyptischen Ausmaß abzuwenden, das Karl Marx prophezeit hatte. Aber wir haben die Strukturen von Kapital und Ungleichheit nicht in dem Umfang verändert, den uns die optimistischen Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg suggeriert haben.
Der Haupttreiber der Ungleichheit - dass Gewinne aus Kapital höher sind als die Wachstumsraten - droht heute vielmehr extreme Formen von Ungleichheit hervorzubringen, die den sozialen Frieden gefährden und die Werte der Demokratie unterminieren.
Doch ökonomische Trends sind keine Handlungen Gottes. Politisches Handeln hat ökonomische Ungleichheiten in der Vergangenheit korrigiert, sagt Piketty, und kann das auch wieder tun.









8 Kommentare:

  1. Wann wachen wir auf?
    Gerechtigkeit Gegen die wachsende Schere zwischen Arm und Reich hilft nur noch eine antikapitalistische Revolte à la 1968. Pikettys Buch macht klar, dass es Zeit ist, sie zu erneuern.

    Jede von einem Buch ausgelöste Debatte, die sich der Einsicht wenigstens nähert, dass Kapitalismus immer auch Zwangswachstum bedeutet, ist nützlich. Bei Thomas Piketty, dessen Buch Capital in the Twenty-First Century jetzt auch auf Deutsch erschienen ist, stellt sich Wachstum zwar nicht als Zwang dar, sondern nur als eine ständige Tatsache; darin unterscheidet er sich von Karl Marx, Max Weber, John Maynard Keynes oder von Hans Christoph Binswanger, der die Ökosteuer angeregt hat. Aber das ist kein Wunder, da er unter dem Wachstum nicht leidet. Was ihn einzig umtreibt, ist die sich immer weiter öffnende Schere von Arm und Reich. Er ist eben ein Sozialdemokrat. Trotzdem rückt sein Buch das Entscheidende am Kapitalismus ins Zentrum der Aufmerksamkeit: nämlich dass die Begriffe Kapital und Wachstum praktisch austauschbar sind. Und das ist gut so.

    Die Folgeerscheinung, die Pikettys Thema ist, ist auch wahrlich wichtig genug. Wachstum ist nicht gleichmäßig verteilt, sondern Kapitalismus bedeutet, dass Kapitaleinkünfte stärker wachsen als Einkommen aus Arbeit. Das ist der Zwang, den Piketty empirisch beweist. Zwar scheint seine These mit der Entwicklung zwischen 1930 und 1975 nicht so recht übereinzustimmen; aber das Buch kann zeigen, dass die Ungleichheit der Einkommen damals nur wegen besonderer Umstände nicht wuchs. Auch sein Vorschlag, dass es eine sehr starke Progression bei der Einkommensteuer geben müsste, ist begrüßenswert.

    Wenn man mit seinem Ansatz die Geschichte der Bundesrepublik durchleuchtet, findet man ihn natürlich bestätigt. Der Rheinische Kapitalismus war besser und war leider 1975 vorbei. Bis ungefähr 1967 gab es immer gerade so viel Kapital, wie für den erweiterten Wiederaufbau der durch den Weltkrieg zerstörten Volkswirtschaft gebraucht wurde. In einer solchen Situation hängt jedes Einkommen von allen anderen ab; die Reichtumsschere öffnet sich nur leicht.

    Heute hingegen mangelt es dem Kapital an Anlagemöglichkeiten – in der Bundesrepublik sowieso, aber auch in der ganzen Welt –, die zugleich produktiv und profitabel wären. Weil es deshalb auf die Finanzmärkte ausweicht, wächst die Reichtumsschere. Es wäre in der Tat besser, überschüssige Kapitaleinkünfte durch Steuern öffentlich abzuschöpfen und mit ihnen inländische wie weltweite Aufgaben auch dann zu bewältigen, wenn kein Profit dabei herausspringt. Freilich dürfte diese Lösung ohne Revolution nicht zu haben sein.

    Das spricht aber nicht gegen, sondern für Pikettys Buch. Bereiten wir also den Aufstand gegen das Kapital vor! Aber spätestens wenn wir das tun, müssen wir genau wissen, wogegen sich der Aufstand richtet. Wenn es nur darum gehen sollte, die Reichtumsschere abzuschaffen, und nicht auch deren Ursache, den Wachstumszwang, wird sich die Ungerechtigkeit immer wieder neu reproduzieren.

    Man könnte die Geschichte der Bundesrepublik ja auch so erzählen: Zunächst ist das Kapital nur in dem Maße gewachsen, wie es die Umstände im Wirtschaftswunderland ermöglicht und erfordert haben. Das aber hatte ein Ende. Und da hätte man den Kapitalismus beenden sollen. Von da an war es vernünftig, zu einer Produktionsweise überzugehen, die immer nur dort wächst, wo Wachstum sinnvoll erscheint, von Fall zu Fall also statt zwanghaft. Ganz passend kam es damals zur antikapitalistischen Revolte, der von 1968. Pikettys Buch macht jedenfalls klar, dass es Zeit ist, sie zu erneuern.

    MICHAEL JÄGER
    der Freitag

    AntwortenLöschen
  2. Thomas Pikettys kolossale Geschichte der Verteilungsverhältnisse im 20. Jahrhundert
    Von Georg Fülberth *

    Da jetzt Thomas Pikettys Buch über das Kapital im 21. Jahrhundert – 2013 auf Französisch, 2014 auf Englisch und auch in deutscher Übersetzung herauskommen ist, ist zu hoffen, dass es endlich hierzulande auch gelesen und nicht nur diskutiert wird.
    Bisher gibt es schon viele Meinungen über dieses Werk, von seinem Inhalt ist aber erst der politische Schlussteil referiert worden. Piketty selbst suchte in zahlreichen Interviews die Öffentlichkeit, und das scheint angebracht angesichts der Tatsache, dass er sofort in Kontroversen geriet.

    Die Keynesianer Paul Krugman und Joseph Stiglitz, beide Nobelpreisträger, riefen sein Buch zum wichtigsten ökonomischen Werk des Jahrzehnts aus. Zu Recht sehen sie in Piketty einen wirtschaftspolitischen Bundesgenossen.

    Neoliberales Gegenfeuer ließ nicht auf sich warten: die Financial Times zweifelte die Seriosität von Pikettys Zahlenmaterial an, kam aber damit nicht durch, und zwar schon deshalb nicht, weil er seine Kurven und Zahlen im Internet kontrollierbar offengelegt hat, während ihre eigenen Angaben weniger transparent sind.

    In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kam Piketty mit einem langen Interview zu Wort, in deren Meinungsteil aber wurde er gleich von mehreren marktliberalen Wirtschaftsprofessoren abgeurteilt.

    AntwortenLöschen
  3. Siehe auch:

    Im freien Fall:
    Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft
    http://bilgungwissen.blogspot.no/2014/11/nobelpreistrager-joseph-stiglitz-uber.html

    AntwortenLöschen
  4. Siehe auch:

    Der Preis der Ungleichheit:
    Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht
    http://bilgungwissen.blogspot.no/2015/02/nobelpreistrager-joseph-stiglitz-wie.html

    AntwortenLöschen
  5. Siehe auch:

    Nobelpreisträger Joseph Stiglitz: Die Schatten der Globalisierung
    http://bilgungwissen.blogspot.no/2015/02/die-schatten-der-globalisierung.html

    AntwortenLöschen
  6. INTERVIEW: PIKETTY ANTWORTET AUF KRITIKEN AUS DER LINKEN; April 2015
    Interview mit Thomas Piketty

    Eine Reihe Kritiker, etwa Branko Milanovic und Anwar Shaikh, haben nahegelegt, Ihre Arbeit in der klassischen Tradition der Wirtschaftswissenschaften anzusiedeln, insofern als dass sie Themen wie Klasse, Kapital und Arbeit wiederbelebt und sich makroökonomischen Fragen widmet – sie verstehen Sie also als Teil einer Tradition, die sich von Smith zu Keynes über Marx und andere dehnt. Wo sehen Sie selbst sich?

    Thomas Piketty:
    Ich versuche, einen Beitrag dazu zu leisten, das Thema Verteilung wieder ins Zentrum der ökonomischen Analyse zu bringen. In diesem Sinne kann meine Arbeit sicherlich als ein Versuch zur Weiterverfolgung einer Tradition angesehen werden, die im 19. Jahrhundert sehr bedeutsam war in ihrem Bemühen um die Untersuchung langfristiger Trends in der Verteilung von Einkommen und Wohlstand.

    Ich denke, Verteilung und Langfristigkeit wurden viel zu lange vernachlässigt. In diesem Sinne folge ich der klassischen Tradition. Aber ich versuche auch, eine Tradition der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu verfolgen, insbesondere mit der Annales-Schule in Frankreich, aber auch auf internationaler Ebene, mit Blick auf die Geschichte der Einkommen, des Wohlstandes, der Preise und Löhne.
    Ich denke, mein Buch ist ebenso ein Buch der Geschichte wie eines der Ökonomie. Ich sehe mich mehr als Sozial- denn als Wirtschaftswissenschaftler. Die Grenzen zwischen Ökonomie, Geschichtswissenschaft und Soziologie sind nicht so klar gezogen, zumindest sind sie weit undeutlicher als ÖkonomInnen sie sich mitunter vorstellen. Wir haben in der Vergangenheit viel Zeit verloren aufgrund zu harscher Abgrenzungen.
    Auf eine Art ist es sehr grundlegende Arbeit, die ich gemacht habe, und ich glaube, der einzige Grund dafür, dass es nicht vorher getan wurde, ist dass es als zu historisch für ÖkonomInnen und zu ökonomisch für HistorikerInnen galt. Und so hat es niemand gemacht.

    AntwortenLöschen
  7. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

    AntwortenLöschen
  8. INTERVIEW: PIKETTY ANTWORTET AUF KRITIKEN AUS DER LINKEN
    Interview mit Thomas Piketty

    Als Disziplin waren die Wirtschaftswissenschaften, zumindest in den letzten Dekaden, interdisziplinären Ansätzen und Forschungen gegenüber eher verschlossen. Denken Sie, der Erfolg Ihres Buches öffnet den Bereich ein wenig?

    Thomas Piketty:
    Ich versuche dazu beizutragen, aber dafür wird es mehr als ein Buch brauchen. Es gibt ein immenses Selbstbewusstsein in der ganzen Disziplin und eine verbreitete Ansicht, Wirtschaftswissenschaften seien gänzlich anders als sonstige Sozialwissenschaften. Ich denke das ist falsch. Aber das ist in vielen Lehrinstitutionen verwurzelt. Komplizierte Mathematik zu betreiben um wissenschaftlich zu wirken ist einfach, und so ist es für viele verführerisch, beim Status quo zu bleiben. Die Art von Mathematik, die ÖkonomInnen betreiben, wird zumeist keine MathematikerInnen beeindrucken, aber sie reicht aus, um andere in den Sozialwissenschaften zu beeindrucken. Aber der Mangel an Dialog ist nicht nur der Fehler der ÖkonomInnen. Allzu oft hat sich die historische Forschung in den letzten Dekaden auf kulturelle und politische Themen fokussiert und die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte vernachlässigt. Doch um vernünftige Kultur- und politische Ideengeschichte zu betreiben, müssen wir auch auf die Entwicklung ökonomischer Fakten blicken, auf Löhne und Preise, welche am Ende beitragen zur Formierung kollektiver Repräsentationen des Wirtschaftens, sozialer Gerechtigkeit, Kommunismus, Kapitalismus und jeglicher menschlicher Institution.

    In vielen Ländern ist die Wirtschaftsgeschichte inzwischen so eng an die Institutionen der Wirtschaftswissenschaften angeschlossen, dass sie fast völlig getrennt vom Rest der historischen Disziplin existiert. In Frankreich ist die sehr lebendige Tradition, die es an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) rund um die Annales-Schule zwanzig oder dreißig Jahre lang gab, praktisch vergessen. Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte ist heute eindeutig weniger interessiert an statistischen Überblicken, als sie es ein paar Dekaden zuvor in der Regel war.

    AntwortenLöschen