Sonntag, 8. April 2012

Bloodlands


Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin [Gebundene Ausgabe]

Timothy Snyder , Martin Richter


Obwohl die Verbrechen Stalins und Hitlers zu den bestuntersuchten Themen der jüngeren Vergangenheit zählen, unterliegt ihr Bild noch vielen Verzerrungen. Der amerikanische Historiker Timothy Snyder hat sich vorgenommen, die wichtigsten davon zu korrigieren.


Timothy Snyder erzählt in seinem aufsehenerregenden, zutiefst aufwühlenden Buch drei miteinander verknüpfte Geschichten - Stalins Terrorkampagnen, Hitlers Holocaust und den Hungerkrieg gegen die Kriegsgefangenen und die nichtjüdische Bevölkerung - so wie sie sich tatsächlich zugetragen haben: zur gleichen Zeit und am gleichen Ort. Makellos recherchiert, atemberaubend geschrieben und von eindringlicher Humanität gehört Bloodlands zu den historischen Büchern, die einen anderen Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts eröffnen.
Noch bevor der Zweite Weltkrieg begann, hatte Hitlers zeitweiliger Partner und späterer Gegner Stalin bereits Millionen von Menschen umgebracht - und setzte dieses Morden während des Krieges fort.
Bevor Hitler besiegt war, hatte er sechs Millionen Juden ermorden lassen - und ließ Millionen andere Menschen gezielt verhungern. All dies geschah auf einem einzigen Gebiet: den "Bloodlands" zwischen Russland und Deutschland. Doch als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, verschwand die Erinnerung an diesen millionenfachen Mord in der Dunkelheit hinter dem Eisernen Vorhang.


Die Überlebenden der in den "Blutländern" verübten Massaker wurden, wie Snyder betont, oft genug Zeugen der Untaten BEIDER Diktatoren. Eine Geschichtsschreibung, die sich auf einen der Unrechtsstaaten beschränkte, würde der Lebenserfahrung dieser Menschen nicht gerecht.

Sie würde außerdem einen guten Teil ihrer Erklärungsaussichten verspielen, spreche doch vieles dafür, dass die totalitären Reiche sich gegenseitig zu Verbrechen animierten, die sie ohne Kontakt miteinander nicht begangen hätten.

Darüber hinaus, so ließe sich hinzufügen, heißt vergleichen nicht relativieren. Der Vergleich muss Unterschiede ebenso herausarbeiten wie Gemeinsamkeiten. Ob die Shoah einzigartig ist, weiß man nur, wenn man sie mit anderen Massenmorden verglichen hat. Wer auf Vergleiche verzichtet, verzichtet auf Erkenntnis.

1 Kommentar:

  1. Timothy Snyder gelingt mit Bloodlands etwas Ungewöhnliches: Er schafft es, eine gepeinigte Region und deren Menschen zwischen Hitler und Stalin derart eindringlich zu beschreiben, dass der Leser geneigt ist, seine Sprache als sehr lesenswert und kurzweilig anzusehen, und dies bei einer derart bedrückenden Thematik.

    Er beschreibt die verbrecherischen Heimsuchungen, denen im Wesentlichen die heutigen baltischen Staaten, Polen, die Ukraine und Weißrussland vom Ersten Weltkrieg bis zu Stalins Tod durch Nationalsozialismus und Stalinismus ausgesetzt waren.
    Von den sowjetischen Hungersnöten über Klassen- und Nationalitätenterror, den Holocaust, die Todesfabriken bis zu ethnischen Säuberungen stellt der Autor die aufeinanderfolgenden Katastrophen für die Region dar. Es gelingt Snyder gerade, keine Vergleiche der Grausamkeiten anzustellen und kein Aufrechnen von Ermordeten zu versuchen (wenn auch häufig neuere Zahlen aus der historischen Forschung die Dimensionen unterstreichen), sondern vielmehr zu beschreiben, was deutsche und sowjetische Besatzer im Wechsel in diesen Regionen hinterließen: verbrannte Erde, unendliches Leid und massenhaften Tod.

    Gerade die Einschübe individueller Schicksale und Erlebnisse heben das Werk über eine rein historisch nüchterne Analyse hinaus und lassen den Leser das Leid eindringlich mitempfinden, was neben Saul Friedländer keinem Autor bisher gelungen ist. Gewiss werden keine bahnbrechend neuen historischen Erkenntnisse ausgebreitet, doch gelingt es der Darstellung, den aktuellen Forschungsstand in ein übergreifendes Standardwerk einzubetten.

    Einige wenige Anmerkungen zum Schluss: 36 Karten tragen zur Veranschaulichung der Dimensionen bei; das Buchformat (Höhe des Buchrückens: 23,8 cm) ist größer als gewöhnlich (ca. 20 bis 22 cm) was der Übersichtlichkeit der Karten und der Lesbarkeit des Textes sehr zugute kommt; der Umfang (410 Seiten ohne Anmerkungen, Bibliographie und Register) kommt sowohl fachlichen Kennern wie auch interessierten Lesern entgegen.
    Bloodlands von Timothy Snyder ist, und das kann bereits kurz nach seinem Erscheinen festgehalten werden, eines der wichtigsten historischen Werke zur Geschichte Ost-/Ostmitteleuropas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

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