Sonntag, 25. Oktober 2015

Wider die kosmopolitische Illusion






Über das Politische:
Wider die kosmopolitische Illusion (edition suhrkamp)

Taschenbuch – von Chantal Mouffe  (Autor), Niels Neumeier (Übersetzer)
Chantal Mouffe, geboren 1943 in Charleroi, lehrt Politische Theorie an der University of Westminster. Ihr gemeinsam mit dem argentinische Politikwissenschaftler Ernesto Laclau verfasstes Buch Hegemonie und radikale Demokratie gilt als ein Grundlagentext des Postmarxismus.
Die Autoren entwickeln darin ein Modell der »agonistischen Politik«, das Mouffe in 
Über das Politische weiter ausarbeitet. In der Auseinandersetzung mit Ulrich Becks Konzept der Subpolitik und Anthony Giddens’ Programm des Dritten Wegs kommt Mouffe zu dem Ergebnis:

»Ich behaupte, es ist nicht nur konzeptionell falsch, sondern auch mit politischen Gefahren verbunden, wenn das Ziel demokratischer Politik in Begriffen von Konsens und Versöhnung anvisiert wird.
Das Streben nach einer Welt, in der die Wir-Sie-Unterscheidung überwunden wäre, basiert auf fehlerhaften Prämissen, und wer sich diese Vision zu eigen macht, muß die tatsächliche Aufgabe demokratischer Politik zwangsläufig verkennen.«


In westlichen Gesellschaften sind post-politische Konzepte des Dritten Weges derzeit en vogue. Sie propagieren eine konsensuelle Form von Demokratie jenseits der politischen Opposition von rechts und links.
Chantal Mouffe kritisiert daran, daß diese Konzepte die antagonistische Dimension des Politischen und die Ambivalenz der menschlichen Natur leugnen. Nach einer Analyse des Begriffs des Politischen, die sich auf Carl Schmitt stützt, übt Mouffe Kritik an Habermas, Rorty, Giddens und Beck. Unter Bezug auf aktuelle Probleme wie den Terrorismus deckt sie Defizite und politische Gefahren post-politischer Konzepte auf und argumentiert zwingend gegen die Möglichkeit eines universalen rationalen Konsenses und für den antagonistischen Charakter von Politik.

Über das Politische ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Zustand und der Zukunft der Demokratie. Chantal Mouffe ist Professorin für Politische Theorie am Centre of the Study of Democracy an der Universität Westminster.



Die populistische Dimension der Demokratie, die den Entwurf eines Volkes einfordert, gilt es zu würdigen.



In den meisten europäischen Ländern sind rechte populistische Parteien auf dem Vormarsch, und ihr wachsender Erfolg rüttelt am traditionellen politischen Gefüge zwischen den beiden Polen Mitte rechts und Mitte links. Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie sich „an das Volk“ und gegen das gleichgültige „politische Establishment“ richten. Dieses hat das Volk mit seinen Anliegen angeblich im Stich gelassen und widmet sich nun ausschließlich den Interessen der Eliten.
In meinem Buch Über das Politische erkläre ich diese Entwicklung mit dem „Konsens in der Mitte“, den die Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien unter den Vorzeichen neoliberaler Hegemonie hergestellt haben. Dies führte dazu, dass Überlegungen über eine Alternative zur neoliberalen Globalisierung aus dem politischen Diskurs verschwanden. Eine Debatte fand kaum noch statt und die Wahlmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger wurden drastisch eingeschränkt.
Viele begrüßen diesen Konsens und interpretieren ihn als Zeichen dafür, dass eine Politik der Gegensätze überflüssig geworden und die Demokratie heute reifer sei. Ich teile diese Ansicht nicht. Meinem Verständnis nach schafft diese „postpolitische“ Situation ein günstiges Klima für Parteien, die für sich in Anspruch nehmen, die Interessen all jener zu vertreten, die im bestehenden repräsentativen System keine Mitsprache zu haben glauben. Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, und die populistische Dimension der Demokratie, die den Entwurf eines Volkes einfordert, gilt es zu würdigen. Das Problem ist, dass der Populismus dieser Parteien meist politisch rechts angesiedelt ist, weil sie heterogene soziale Forderungen mit fremdenfeindlichen Phrasen verbinden, die Einheit „des Volks“ mithin durch den Ausschluss von Einwanderern konstruieren.
Zunächst dachte ich, diese Parteien ließen sich am besten durch die Wiederbelebung echter Parteipolitik und die Wiederherstellung des Links-Rechts-Gegensatzes bekämpfen, der von der Politik des „dritten Wegs“ aufgeweicht wurde. Mittlerweile bin ich zu dem Schluss gelangt, dass das in den meisten Ländern nicht möglich sein wird. Wir brauchen eine andere Strategie. Leuchtet man den Zustand der „Mitte-Links-Parteien“ in Europa aus, wird klar, dass sie an den Mechanismen der neoliberalen Hegemonie eine zu große Mitschuld tragen, als dass sie eine Alternative zu bieten hätten.
Augenfällig wurde das in ihrer Reaktion auf die Krise 2008. In ihr waren sie außerstande, die sich bietenden Chancen zu nutzen, die Initiative zu ergreifen und die Macht des Staates für die Etablierung einer progressiveren Politik einzusetzen. Seither haben sie den Kompromiss mit dem System zementiert und die Austeritätspolitik nicht nur akzeptiert, sondern auch umgesetzt. Deren verheerende Maßnahmen haben Elend und Arbeitslosigkeit über Europa gebracht.

1 Kommentar:

  1. Im Rücken der repräsentativen Demokratie

    Diese Parteien vertreten eine sozialliberale Version des Neoliberalismus. Daher überrascht es nicht, dass sich Widerstände gegen ihre politischen Maßnahmen, als sie von progressiver Seite endlich kamen, nur durch Protestbewegungen Bahn brechen konnten. Und zwar durch solche, die den Institutionen der repräsentativen Demokratie den Rücken zugekehrt hatten, so die Indignados in Spanien und verschiedene Spielarten von Occupy. Diese Bewegungen waren begrüßenswert. Denn sie machten deutlich, wie groß die Unzufriedenheit mit der neoliberalen Ordnung ist. Gleichwohl hatte sie nur begrenzte Wirkung, weil sie sich nicht mit den politischen Institutionen einlassen wollten.

    Bar jeder Form der Artikulation innerhalb der parlamentarischen Politik, verloren sie bald ihre Dynamik. Im Gegensatz dazu gelang es Syriza in Griechenland, einer vereinten sozialen Front, die aus einer Koalition verschiedener linker Bewegungen rund um die frühere eurokommunistische Partei Synaspismos hervorgegangen war, einen neuen Typus radikaler Parteien ins Leben zu rufen. Ihr Ziel ist es, die neoliberale Hegemonie auf dem Wege der parlamentarischen Politik anzugreifen. Dem gelungenen Zusammenspiel aus Parteipolitik und sozialer Bewegung ist es zu verdanken, dass Syriza eine Vielzahl demokratischer Forderungen als Gemeinwillen artikulieren konnte. Das hat dazu geführt, dass die Partei im Januar 2015 an die Macht kam.

    Der kometenhafte Aufstieg der spanischen Podemos im Jahr 2014 ist dem Umstand zu verdanken, dass diese Gruppe junger Intellektueller das durch die Indignados bereitete Terrain nutzte, um mit einer neu gegründeten Parteibewegung den Stillstand der Konsenspolitik zu durchbrechen, die in der Demokratisierungsphase entstanden war und sich mittlerweile offenkundig erschöpft hat. Die Podemos verfolgt die Strategie, einen Gemeinwillen zu schaffen, indem sie eine klare Grenze zwischen den Eliten des Establishments (la casta) und dem „Volk“ konstruiert.

    Ich möchte behaupten, dass wir es in vielen europäischen Ländern mit einer „populistischen Situation“ zu tun haben. Eine dynamische demokratische Politik kann nicht mehr auf der traditionellen Links-Rechts-Achse angesiedelt werden. Das liegt nicht nur daran, dass in einem postpolitischen Umfeld dieser Gegensatz zunehmend verschwimmt, sondern auch daran, dass die durch den Postfordismus und die Vorherrschaft des Finanzkapitals herbeigeführte Umgestaltung des Kapitalismus eine Fülle neuer demokratischer Forderungen nach sich zieht. Ihnen würde eine simple Reaktivierung der Links-Rechts-Konfrontation nicht gerecht werden. Es muss eine völlig neue Abgrenzung geben.

    Heute geht es darum, durch die Artikulation all dieser demokratischen Forderungen in einer „Kette der Äquivalenz“ einen progressiven Gemeinwillen herzustellen mit dem Ziel, „ein Volk“ zu schaffen. Die Einheit dieses progressiven Volkes entsteht nicht, wie im Falle des rechten Populismus, durch den Ausschluss von Migranten, sondern durch die Festlegung eines Gegners: die politischen und ökonomischen Kräfte des Neoliberalismus. Das verstehe ich unter „Linkspopulismus“.

    Ich bin überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren eine tiefe Veränderung der in Europa einst vorherrschenden politischen Grenzen erleben werden und dass die entscheidende Konfrontation zwischen dem linken Populismus und dem rechten Populismus stattfinden wird. Es ist allerdings auch klar, dass das Projekt Linkspopulismus, will es den Sieg davontragen, eine europäische Dimension haben muss. Unabdingbar ist dafür die Förderung einer linkspopulistischen Bewegung, die für eine demokratische Neugründung Europas kämpft.

    Die entscheidende Konfrontation wird zwischen dem linken Populismus und dem rechten Populismus stattfinden.

    Von: Chantal Mouffe

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