Freitag, 2. Oktober 2015

Der europäische Traum und die Wirklichkeit







Der europäische Traum und die Wirklichkeit:
Über Habermas, Rifkin, Cohn-Bendit, Beck und die anderen (Neue Kleine Bibliothek)
 Broschiert von Andreas Wehr  (Autor)
Andreas Wehr, *1954. Jurist, wissenschaftlicher Mitarbeiter der 'Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken / Nordische Grüne Linke' im Europäischen Parlament. Veröffentlichte zuletzt bei PapyRossa 'Griechenland, die Krise und der Euro'.


Die Krise des Euro sät Zweifel auch an der Europäischen Union. Die bisherige Botschaft, die EU sei ein Friedensprojekt, wird angesichts weltweiter Kriege unter ihrer Beteiligung immer unglaubwürdiger.

Welche Begründungen bieten sich stattdessen an?
Wichtige Intellektuelle haben neuerdings ihre Plädoyers für die EU vorgelegt. So unterschiedlich ihre Entwürfe im Einzelnen auch sind, so zielen sie doch alle auf die Stärkung »Europas«; innerhalb eines globalen Wettbewerbs, in dem sich die Nationalstaaten angeblich alleine nicht mehr behaupten können.

Es geht mithin um die Bewahrung der imperialistischen Vorherrschaft des Westens. »Europa« als machtpolitische Antwort auf den als bedrohlich empfundenen Aufstieg der sich entwickelnden Dritten Welt, insbesondere der VR China und der anderen Schwellenländer dies ist die neue Botschaft! Im Namen des europäischen Projekts und einer vertieften Integration werden dabei die demokratischen Ordnungen der EU- Mitgliedstaaten leichtfertig zur Disposition gestellt.


Der Autor nimmt sich europapolitische Thesen hoch prominenter, im sozialdemokratischen oder grünen Spektrum einflussreicher Autoren vor, zerpflückt sie auf ihre Konsistenz sowie Kompatibilität mit der Realität und arbeitet Gemeinsamkeiten heraus, die solche Thesen als aus linker Sicht fragwürdig bis kontraproduktiv erscheinen lassen.

Analysiert werden, mit­ zahlreichen Zitaten und historischen Belegen, Werke populärer „Größen“, wie Jeremy Rifkin, Jürgen Habermas, Ulrich Beck, Martin Schulz und des Duos Daniel Cohn-Bendit-Guy Verhofstadt.
Habermas hält er beispielsweise entgegen, dass der gedankliche Konnex Nationalstaat-Kapitalismus a-historisch ist, Globalisierung älter als Nationalstaaten ist, sozialpolitische Fortschritte sehr wohl primär auf staatlicher Ebene erzielt werden konnten. Im Übrigen könne von einem Abdanken des Nationalstaats im Neoliberalismus keine Rede sein, wohl aber sei er derzeit „klassenpolitisch im Interesse der Kapitalisten ausgerichtet“.

Mit seiner These von der Macht- und Aussichtslosigkeit sozialpolitischer Kämpfe auf nationaler Ebene rechtfertigen Intellektuelle wie Habermas die „Kapitulation vor dem Neoliberalismus“, zumal EU-Europa, ideologisch bedingt, weder Sozialstaatlichkeit schützt noch auf einer höheren Ebene wieder herstellt. 
Sich auf diese höhere Ebene bzw. auf das allmähliche „Einholen“ sozialer gegenüber macht-wirtschaftlicher Interessen zu verlassen, erscheint Wehr illusionär. Nicht zuletzt kritisiert er Habermas’ Verhaftetsein im Paradignum des globalen Wettbewerbs – Angstgegner China etc. - zwischen also doch Staaten! - und den EU-Großmachtanspruch.
Wehr, ehemals in der Berliner SPD engagiert, derzeit für Die Linke im Europaparlament auch publizistisch tätig, warnt, nicht nur am Beispiel Habermas, detail- und kenntnisreich, Nachdenken provozierend davor, blindlings auf eine institutionelle Stärkung der EU zu Lasten von (National)staaten zu setzen bzw. hinzuarbeiten, eine Tendenz, die er glaubwürdig als Ideologien entlarvt. Seine eigene „Ideologie“, also Weltsicht, verleugnet er dabei keineswegs.

Lesenswert!

Autorin: Gabriele Matzner

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen