Montag, 20. Juli 2015

Yanis Varoufakis : Time for Change





Time for Change: Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre 
Gebundene Ausgabe – von Yanis Varoufakis  (Autor), Birgit Hildebrand (Übersetzer)

Yanis Varoufakis, Jahrgang 1961, ist ein griechisch-australischer Wirtschaftswissenschaftler und Autor zahlreicher Buch- und Zeitschriftenpublikationen. Er war Professor für ökonomische Theorie an der Universität von Athen und an der Lyndon B. Johnson School of Public Affairs der Universität in Austin, Texas. Von Januar bis Juli 2015 war er Finanzminister der Regierung unter Alexis Tsipras.
Blog: yanisvaroufakis.eu und bei Twitter: @yanisvaroufakis

Erfrischender Querdenker – oder Totengräber des Euro? Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister von Griechenland, vertritt Thesen, die so kontrovers diskutiert werden wie sein Outfit. In lässigen Auftritten erklärt er die Welt, redet Klartext, wo andere nur Worthülsen produzieren. Viele Menschen berührt er sympathisch, andere sehen in ihm den Leibhaftigen. Wer ist er wirklich, was treibt ihn um? Varoufakis ist ein Meister darin, ökonomische Fragen mit der Geschichte der Kolonialisierung, mit den Matrix-Filmen und aktuellen Bezügen zu verbinden. Sein Buch will Interesse an der Wirtschaft wecken und bezieht leidenschaftlich Position für den Menschen und gegen eine Ökonomie der Unterdrückung.



5 Kommentare:

  1. Ein international anerkannter Wirtschaftswissenschaftler, der die Ökonomie nicht den exakten Wissenschaften zuordnet, wie den Naturwissenschaften, sondern eher bei der Soziologie oder der Philosophie ansiedelt, der muss ja Anstoß erregen im heutigen Diskurs der Hohepriester der vorherrschenden neokonservativen Lehre, die von der Berechenbarkeit aller wirtschaftlichen Vorgänge ausgeht und die Unfehlbarkeit der Märkte verkündet, wenn man diese nur möglichst ohne regulatorische Eingriffe walten ließe.

    Es wird auch verständlich, dass Varoufakis in der Runde der anderen 18 Euro-Finanzminister, mit denen er über ein halbes Jahr lang verhandeln sollte, keine Ansprechpartner fand. Er hätte auch *die schwedische Nationalhymne bei den Sitzungen singen können* sagte er kürzlich in einem Interview, und alle wären unverändert dagesessen ohne dass es zu einer Kommunikation gekommen wäre.

    Dieses Buch unterscheidet sich in Vielem von anderen Wirtschaftsbüchern.

    Unter anderem durch die Empathie mit der dieses Buch geschrieben wurde. Klar, es ist an seine Tochter gerichtet, daher ist der Ton schon von vornherein anders, aber es ist auf jeder Seite deutlich, dass hier kein 'System' aufgebaut oder beschrieben wird, sondern dass es um die von der Wirtschaft betroffenen Menschen geht.

    Der Unterschied zwischen Gütern und Waren, der Unterschied zwischen freiwilliger und bezahlter Arbeit, der Unterschied zwischen Tauschwert und Lebenswert, alle Fragen die hier behandelt werden, sind Fragen des Humanismus, der Aufklärung, und der Existenz der Menschen generell.

    Welcher Mainstream-Ökonom fragt denn heute noch wie sich das, was für die 'Optimierung' aller Lebens- und Arbeitsbereiche und zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele vorgeschlagen wird, auf die Menschen auswirkt?

    Von Werner Titz

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  2. Wer sich dafür interessiert, warum man sich bei Varoufakis meist mehr mit seinem Outfit und seinem persönlichen Lebensstil beschäftigt als mit seinen Vorstellungen zur Wirtschaft, findet in dieser neusten Veröffentlichungen eine nachvollziehbare Erklärung.

    Denn selbst wer schon viele (auch interessante) Bücher zum Thema "Wirtschaft und Krise" gelesen hat, wird nach der Lektüre von "Time for Change" feststellen, dass Varoufakis irgendwie anders mit dem Thema umgeht - und diese andere Herangehensweise gefällt natürlich nicht jeden. Das fängt schon bei der Art und Weise an, wie er seine Theorie vermittelt.

    So sollte man die Tochter von Varoufakis als erklärten Adressat nicht zu wichtig nehmen, wie Varoufakis selbst im Vorwort zur deutschen Ausgabe betont (S.9). Eher geht es dem Autor wohl darum, möglichst viele Menschen - also auch die "Wirtschaftsmuffel" - zu erreichen. Aber gerade dies macht die Sache so interessant, besonders wenn man bedenkt, dass Varoufakis alles, was ihm zum gewählten Thema wichtig erscheint, auf gerade einmal 180 Seiten unterbringt - und dies in der Tat in recht verständlicher und nachvollziehbarer Form.

    Dies liegt sicher auch daran, dass Varoufakis sich Beispielen und Analogien bedient, die gewöhnlich nicht mit dem Thema "Wirtschaftstheorie" in Verbindung gebracht werden. So gibt es auch hier wieder - wie schon in der früheren Veröffentlichung "Der globale Minotaurus" - Rückgriffe auf die griechische Mythologie.

    Ergänzt wird dies allerdings nun durch zahlreiche Rückgriffe auf Literatur und Film, wie z.B. Doktor Faustus, Frankenstein und auf die Matrix-Triologie, welche sogar eine recht zentrale Stelle bei der Erklärung des Arbeitsmarktes einnimmt (der arbeitende Mensch kann nicht zur Maschine werden). Darüber hinaus gibt es jedoch auch viele Rückgriffe auf geschichtliche Ereignisse. So erklärt Varoufakis z.B. den Charakter von Geld sowie Inflation und Deflation (mit Bezug auf Richard Radford) durch die Geldfunktion von Zigaretten in deutschen Kriegsgefangenenlagern (S.151f), oder die Wurzeln der Ungleichheit, durch eine Antwort auf die selbstgestellte Frage: "Wieso sind die australischen Aborigines nicht in England eingefallen?" (S.13ff), was natürlich nicht am Gen oder der Hautfarbe liegt.
    Dabei bleibt Varoufakis jedoch stets beim Thema. Für ihn ist die heutige Art des Wirtschaftens ein geschichtlicher Prozess und wird stets als widersprüchliche Angelegenheit betrachtet.

    Von Alfons Kilad

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  3. Die Konzentration auf die wesentlichen Aspekte wirtschaftlicher Entwicklung, betrifft auch den Unterschied seiner Vorstellungen zu anderen Ökonomen. Dies geschieht stets im Rahmen der Darstellung seiner Wirtschaftstheorie. So wird der/die für wirtschaftliche Fragen interessierte Leser/Leserin viel Bekanntes entdecken, manches in Gestalt einer kritischen Betrachtung, anderes wiederum als positiven, anregenden Rückgriff.
    Stets geht es jedoch um die grundsätzlichen Streitpunkte in Varoufakis Zunft. Es ist überhaupt schwierig, Varoufakis Anschauung in die übliche Wirtschaftsdebatte einzuordnen. Er ist - streng genommen - weder Keynesianer noch typischer Marxist, obwohl stets Anleihen existieren. Nur macht Varoufakis daraus stets seine eigene Sache, was natürlich auch viel Stoff für Kritiken aus allen Richtungen liefern kann - jedoch auch zum Hinterfragen gewohnter Sichtweisen. Kritiker wie Befürworter von Varoufakis finden hier sehr viel Material für eine sachlicher Auseinandersetzung ebenso wie neue Ansätze.

    Ungewohnt ist sicherlich für einige gestandene Ökonomen wohl auch, dass Varoufakis die existierende Waren- und Geldwirtschaft selbst zum Hauptgegenstand seiner kritisch-analytischen Sichtweise macht und damit letztlich auf die Wurzeln der ganzen Angelegenheit zurückgeht.
    Das Resultat ist, dass durch eine neue (oder bessere) Orientierung bei "der Macht der Märkte" und des Geldes, sich plötzlich ungewohnte Perspektiven eröffnen, obwohl Varoufakis selbst - außer seiner kurzen Betonung der Bedeutung einer (echten) Demokratie statt Marktgesetze - keinen gesellschaftlichen Gegenentwurf entwickelt.

    Dieser Verzicht passt jedoch ins Konzept, da Varoufakis die vorherrschende Ökonomie für eine "Theologie nach Gleichungen" hält (S.S.175), womit er sich auch von Marx und seinen Gesetzesbegriff deutlich abgrenzt. Varoufakis beschränkt sich auf die wesentlichen Wahrheiten der heutigen Art des Wirtschaftens (Zusammenfassung S.174) und stellt - nicht nur seine Tochter "vor der harten Wahl zwischen der blauen und der roten Pille" (S.175), d.h. zwischen "trügerischer Scheinwelt" und einem "schwierige(n) und gefährliche(n) Leben", was jedoch zugleich die einzige Chance für Veränderung ist.
    Dass Varoufakis mit seinen Vorstellungen zu einer anderen Wirtschaftspolitik in Griechenland bei den Institutionen nicht so recht durchkam, war für ihn also keine Überraschung, sondern zwangsläufig.

    Aktualität erreicht Varoufakis auch durch die Hinweise auf das, was er "Lebenswert" nennt und gegenüber Tausch- und Gebrauchswert deutlich abgrenzt, etwas, was für jeden nachvollziehbar ist, der weiß, dass z.B. Solidarität ein Austauschprozess ist, jedoch nicht von Tauschwerten (vgl. bes. S.31ff). Ebenso ist seine Darstellung des Widerspruchs Ökonomie <> Ökologie äußerst aktuell (S.125ff), wobei Varoufakis besonderen Wert auf einen gemeinschaftlichen, statt eines privaten Nutzens, natürlicher Ressourcen legt.

    Varoufakis hält auch die subjektive Sichtweise (Optimismus/Pessimismus) zum Verständnis wirtschaftlicher Entwicklungen für zumindest beachtenswert (S.114f), und nimmt somit auch hier den Menschen als Gestalter wirtschaftlicher Abläufe in die Ökonomie hinein.

    Von Alfons Kilad

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  4. "Time for Change" ermöglicht quasi einen Blich von außen auf das Wesentliche. Dass es Zeit für einen Wechsel ist, wird so deutlich. Varoufakis versucht einer breiten und interessierten Öffentlichkeit das dazu erforderliche Wissen möglichst verständlich und ohne unzulässige Vereinfachung zu vermittelt.

    NACHTRAG: Zwei - recht kompromisslose - Kritiken am Buch, finde ich sehr nützlich, um die Position von Varoufakis zu verdeutlichen. Deshalb habe ich mich ausnahmsweise zu einer nachträglichen Ergänzung meiner Rezension entschlossen.

    So behauptete Thomas Geisen in der Frankfurter Rundschau am 27.07.2015, dass Varoufakis "Welt (...) fast ausschließlich aus Klassenkampf, Ausbeutung und Unterdrückung, aus Schwarz und Weiß" bestünde. Doch das Problem für speziell "marxistische Klassenkämpfer" wird mit Varoufakis wohl eher sein, dass er den marxschen Klassenbegriff gerade völlig ausspart. Eher verbindet ihn mit Marx, dass Varoufakis niemanden die persönliche Schuld an einer wirtschaftlichen Entwicklung gibt, die nicht nur den Arbeiter, sondern auch den Unternehmer (oder Kapitalisten) in seinem Handeln maßgeblich prägt. Bei Varoufakis ist es "Maria mit ihrer Kühlschrankfirma" (S.118f) an deren fiktives Beispiel er recht nachtvollziehbar die beliebte Standardbehauptung widerlegt, dass nur der Lohn möglichst niedrig sein muss, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Um das so erklären, benötigt Varoufakis keine marxistischen Kampfbegriffe, sie erklären nichts und sind eher für das Verständnis hinderlich.

    Was übrigens ebenfalls mit Marx in Beziehung gesetzt werden kann, ist Varoufakis Bezug auf den Film Matrix, den er zur Illustration des widersprüchlichen Prozesses der Technikentwicklung (Fluch oder Segen oder beides?) benutzt und der von Kritikern ins Lächerliche ("Kinderbuch") gezogen wird. Auch wenn sich bei Varoufakis selbst dies nicht so eindeutig finden lässt (er erwähnt Marx nur einmal ganz kurz namentlich), erklärt er mit seiner Matrix-Illustration etwas, was dem marxschen "tendenziellen Fall der Profitrate" sehr ähnlich ist.
    D.h. dass die Technik die lebendige Arbeit niemals ersetzen kann, auch wenn das von Seiten des Kapitals angestrebt wird. Lächerlich ist hieran nichts. Ich habe noch nie eine solche nachvollziehbarer Erklärung gefunden, warum mit einer Reduzierung der menschlichen Arbeit zugleich auch tendenziell die Rendite sinkt.

    Von Alfons Kilad

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  5. Ein ziemliches Missverständnis kommt in der Kritik am historischen Verständnis des Autor durch Ulrike Herrmann in der taz v. 27.07.2015 zum Ausdruck. Denn Herrmann geht fälschlich davon aus, dass sich die wesentlichen Veränderungen in der Wirtschaftentwicklung (Entstehung von Schulden, Tauschwert, Geld usw.) auf (simple) Fakten zurückführen ließen. Dass ist jedoch nicht der Fall. Varoufakis benutzt letztlich auch wegen der Verständlichkeit der wirtschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge deshalb eher eine Methode,. die der slowenische Philosoph Zizek unter den Begriff "Quasi-Ursache" fasst, d.h. dass "ein Ereignis (die Entstehung von etwas Neuem) nicht auf seine historischen Umstände reduziert werden kann" (vgl. Slavoj Zizek "Weniger als nichts", S.1164). So ist z.B. der Tausch "Schwein gegen Schubkarren" ein konkretes historisches Ereignis.

    Die Entstehung des Tauschwerts als bestimmender historischer Wandel ist jedoch mehr als die Addition vergleichbarer konkreter Ereignisse. Nichts gegen Ulrike Herrmanns historischen Forschungsdrang. Aber wie es sachlicher laufen kann, zeigt z.B. ein Vergleich von Varoufakis Position zu der Funktion von Schulden mit der von David Graeber ("Schulden - Die ersten 5.000 Jahre"). Letzterer liefert eine detaillierte historische Analyse der Schuldenproblematik; Varoufakis konzentriert sich auf die wesentliche Mechanismen. Nur im Resultat sind sich beide einig. Der einer ergänzt hier also den anderen.

    Es ist deshalb auch kein Zufall, dass Herrmann bei der Industrialisierung in England bei einem "Rätseln der Wirtschaftsgeschichte" hängenbleibt und nur die (unbestrittene) Kriegsführung Großbritanniens hervorhebt, wogegen Varoufakis den englischen Militarismus aus der wirtschaftlichen, "nicht von der Anwendung roher Gewalt" bestimmten Bedingungen ableitet, was weniger moralisierend und beweiskräftiger ist (die Engländer waren nicht von Natur aus kriegerisch). Varoufakis bestreitet auch keineswegs, dass die Katholiken (wie Medici) sich nicht konsequent an das "christliche Zinsverbot" hielten; es ändert jedoch nichts an der Funktion von Zinsen. Sein Verweis auf das Judentum als "antisemitisch" zu werten (so Herrmann), geht bereits deshalb in die falsche Richtung, weil Varoufakis das Verleihen von Geld gerade nicht als verdammenswert, sondern als etwas ganz Zwangsläufiges und für die Entwicklung der Wirtschaft sogar Notwendiges betrachtet.

    Die Theorie vom Kredit ohne Zins (Freigeld) lehnt Varoufakis übrigens als Illusion ab. Sicher lässt sich darüber streiten, ob sich die Religion ausschließlich aus wirtschaftlichen Faktoren ableiten lässt. Varoufakis geht es hierbei jedoch ausschließlich um die Ideologie, also um das, was "die Mehrheit davon überzeugt, dass die Herrschenden rechtmäßig herrschen" (S.21). Religion ist für Varoufakis nur die Urform von Ideologie oder - in Anlehnung an Marx "übersetzt" - die vorkapitalistische Form des "falschen Bewusstseins".

    Im Fazit weisen die wenig hilfreichen Kritiken am Autor nur daraufhin, dass Varoufakis sich gerade nicht in gewöhnliche Betrachtungsweisen einfach einordnen lässt. Er verfasste kein Geschichtsbuch, sondern erklärt mit Hilfe historischer Rückgriffe die wesentlichsten Aspekte der Wirtschaftsgeschichte und unterscheidet sich in sofern sowohl von rein empirischer Beweisführung als auch von einer Ökonomie, die sich nur auf scheinbar überhistorische (Markt)Gesetze beruft. Für mich ist Varoufakis vor allem eins - innovativ. Um zu verstehen, warum er bei manchen so unbeliebt ist, sollte man schon das Original lesen.

    Von Alfons Kilad

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