Sonntag, 12. April 2015

Mehr als "prekär"





Prekarisierung meint längst nicht mehr nur die Ausweitung unabgesicherter, schlecht bezahlter Arbeitsverhältnisse – also mehr bad-jobs – sie ist in alle Lebensbereiche eingewandert: Zeitstress, die Unmöglichkeit das eigene Leben planen zu können, Verdrängung aus den Städten und wachsende Reproduktionslücken.

Prekarisierung ist neue ›Normalität‹ – und doch betrifft sie nicht alle gleichermaßen, sind die Möglichkeiten, mit vielfältigen Verunsicherungen umzugehen, stark klassenabhängig. Oft ist vom ›Prekariat‹ die Rede – doch wer ist damit gemeint? »Alle wollen ihm entfliehen, niemand will dazu gehören«, schreibt
 Loïc Wacquant in LuXemburg 1/2015 über das »postindustrielle Prekariat«.
Und doch: Griechenland spielt uns die Musik einer Neugründung Europas von unten vor – aus der Krise sind nicht nur Linderungen der größten Not, sondern auch politische Perspektiven für uns alle entstanden. Ob sie sich stabilisieren können, ist die drängende Frage. Auch Arbeitskämpfe in prekärem Gelände sind keinesfalls aussichtslos. Die zahlreichen Streiks der letzten Jahre – viele in Branchen, die als ›unorganisierbar‹ oder wegen geschlechtlicher Zuschreibungen als nicht ›kampffähig‹ galten – haben es gezeigt.
MEHR ALS PREKÄR fragt nach strategischen Ansätzen im prekären Alltag, nach einem neuen »Anker«, nach Möglichkeiten alltagsnaher Organisierung, die hierzulande ein Umdenken hinsichtlich linker Praxen erfordern.
Wie können unterschiedliche Prekarisierungserfahrungen zum gemeinsamen Handeln anregen, und wo lassen sich klassenübergreifend gemeinsame Betroffenheiten ausmachen? Wie sind Bündnisse zwischen Kern und Rand, zwischen prekär Beschäftigen und Erwerbslosen oder zwischen PatientInnen und Pflegekräften zu schmieden? Wie kann Zukunft im Heute gestaltet werden?

Inhaltsverzeichnis

ZUKUNFT SICHERN
Die Zukunft beginnt heute
Von Christina Kaindl
Im Morgen verankern
Linke Strategien für eine veränderte Zukunft
Von Katja Kipping
Generation E
Europa in Bewegung
PREKÄRES AUFBRECHEN
Prekär schreiten wir voran?Acht Thesen zu offenen strategischen Problemen
Von Mario Candeias und Anne Steckner
Prekär und widerständig
Von Ingrid Artus
Kein ruhiges Hinterland
Gegenhegemonie organisieren
Von Bernd Riexinger
»We are here to stay«
Von Peter Bremme
INTERVIEW: Überarbeitet und überschuldet
Gespräch über Arbeit, Freizeit und Konsum im Neoliberalismus
Mit Juliet Schor
Garantierte Prekarisierung
Die »Jugendgarantie« der EU
Von Thomas Sablowski und Sandra Sieron
Raum nehmen
Urban Art gegen Verdrängung
PRECARE
Caring for Strategy
Transformation aus Kämpfen um soziale Reproduktion entwickeln
Von Julia Dück&Barbara Fried  

LUXEMBURG ONLINE
Datenzentren sozialisieren
Von Evgeny Morozow
Kommunikativer Kapitalismus und Klassenkampf
Von Jodi Dean (erscheint in Kürze)
Klassenkrieg und die Produktion von Unsicherheit
Von Barbara und John Ehrenreich
Deutschland als Prekarisierungsmotor in Europa
Von Fabio De Masi (erscheint in Kürze)
EUROPÄISCHER FRÜHLING – GRIECHENLAND-SPECIAL
Zwei Monate SYRIZA-Regierung: Schwierigkeiten und Herausforderungen 
Von Elena Papadopoulou und Michalis Spourdalakis
Athen ist nur der Anfang
Von Eva, Völpel, Mario Candeias, Lukas Oberndorfer
Athens calling?
Von Moritz Warnke
AUSSERDEM:
Post-Blockupy. Bilanz und Perspektiven
Von Corinna Genschel (erscheint in Kürze)

3 Kommentare:

  1. »Wir haben’s richtig gemacht. Seht doch, wie es dem Rest Europas ergeht.«

    Das grimmige Märchen vom erfolgreichen Krisenmanagement der deutschen Regierung sichert relativ
    breite Zustimmung in der Bevölkerung. Noch.

    Bei einigen ist es die Hoffnung, es werde schon nicht so schlimm werden, andere halten still aus Angst. Trotz diffuser Unsicherheit, rasant wachsender Ungleichheit und der Verfestigung sozialer Spaltungen bleibt noch genug, um durchzukommen.

    Wenngleich sich Prekarisierung nicht mehr im selben Tempo ausbreitet wie in den vergangenen 20 Jahren, sind
    Unsicherheit, Erschöpfung und Hamsterrad alltägliche Begleiter geworden. Wer lange Zeit arbeitslos ist, bleibt es.

    Die Zahl der von Armut Betroffenen hat sich auf ein Viertel der Bevölkerung erhöht. Wohnraum zu bezahlbaren
    Preisen wird nicht nur in den Metropolen zum Megaproblem. Zukunftsperspektiven sind für viele unsicher – alles keine Randgruppenphänomene:
    Die Angst vor dem Abstieg wirkt auch in den vermeintlich abgesicherten Milieus.

    Um dieser Kultur der Unsicherheit in einem Mitte-unten-Bündnis (Brie) etwas Attraktives entgegenzusetzen, muss ein »neuer strategischer Anker« (Kipping) her. Es reicht nicht mehr, sich vor allem auf Probleme der
    Erwerbsarbeit zu fokussieren.
    Die Lage ist komplexer, denn es geht im umfassenden Sinne um prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse.
    »Prekarität ist überall«, schrieb Pierre Bourdieu bereits 1997, also lange vor der Agenda 2010. Nach Jahren der Debatte bestehen aber nach wie vor einige offene strategische Probleme.

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  2. Kritische Transformationsforschung - Neue PublikationsReihe

    Mit den Beiträgen zur kritischen Transformationsforschung hat das Institut für Gesellschaftsanalyse eine
    neue Reihe ins Leben gerufen, die jene strategischen Diskussionen ergänzen wird, die auch in der LuXemburg
    geführt werden.

    Ziel ist es, Ansätze sozialistischer Transformation aus der internationalen und deutschen Diskussion zu bündeln und weiterzuentwickeln. Platz finden Beiträge zu Theorie und Geschichte linken transformatorischen Denkens, zu methodologischen Fragen solidarisch eingreifender Transformationsforschung,

    Analysen konkreter Projekte sozialökologischen Umbaus und strategische Fragen transformatorischer Politik sowie kritische Diskussionen vorliegender Ansätze. Im Februar 2015 erschien Band 1, in dem Michael Brie in das Werk des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlers Karl Polanyi (1886–1964) einführt und Möglichkeiten des Dialogs zwischen diesem und der US-amerikanischen Feministin Nancy Fraser skizziert.

    Leseprobe
    www.vsa-verlag.de-Brie-Polanyi-neu-entdecken.pdf

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  3. Die wirtschaftliche Vormacht der Bundesrepublik Deutschland setzt sich nicht in Wohlstandsgewinnen für die Mehrheit fort.

    Nur die Konzentration von Reichtum geht einher mit der Konzentration von Macht. Nicht in Europa, wo viele Menschen am Abgrund stehen, aber nicht einmal in Deutschland. Sie tastet die soziale Spaltung der Beschäftigten nicht an. Die Regierung hat kein Konzept für die Konversion umweltschädlicher und zerstörerischer Industrien, das gute Arbeitsplätze schafft.

    Die Privatisierungen belasten die Menschen mit Ausgaben für Leistungen, die der Staat als Gegenleistung für gezahlte Steuern bereitstellen sollte. Selbstverständliches wie Wohnen und Mobilität wird zum Problem, profitorientierte Gesundheitsversorgung zum Gesundheitsrisiko.
    Wissen, das von allen erwirtschaftet wurde und allen nutzen sollte, wird zur privaten Kommerzsache.

    Die Vormachtstellung der Bundesrepublik in Europa und die von wirtschaftlichen Interessen getriebene internationale Politik reißen eine tiefe Kluft. Statt sozialer Gerechtigkeit und einer Vertiefung der Demokratie werden die Strukturen der EU systematisch gegen demokratische Ansprüche abgeschirmt.

    Nationalstaatlich verfasste parlamentarische Verfahren werden unter den Vorzeichen marktkonformen Krisenmanagements ausgehebelt. Sie reichen nicht an die Herausforderungen einer sozial gerechten und ökologisch zukunftsfähigen Globalisierung heran.

    Dieses Modell ist nicht zukunftsfähig !!!

    http://www.zeitschrift-luxemburg.de/lux/wp-content/uploads/2015/03/LUX_1501_E-Abo.pdf#page=16

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