Mittwoch, 17. Dezember 2014

Über die Demokratie in Amerika







Über die Demokratie in Amerika
Taschenbuch – von J. P. Mayer (Herausgeber), Alexis de Tocqueville  (Autor)
Tocqueville, Alexis de frz. Staatsdenker und Politiker *29.7.1805 Verneuil-sur-Seine, †16.4.1859 Cannes Über die Demokratie in Amerika, 1835/40 Alexis de Tocqueville war im 19. Jahrhundert einer der brillantesten Analytiker politischer Zustände und gab mit seinen Arbeiten der Demokratie eine philosophische Theorie.

Tocqueville, der einer alten normannischen Adelsfamilie entstammte, studierte Recht und wurde 1827 Richter am Gericht von Versailles. Nach einer USA-Reise (1831/32) legte er 1832 sein Richteramt nieder, um sich der Politik und der Wissenschaft zu widmen. 1838 wurde er Mitglied der Académie des Sciences Morales et Politiques, drei Jahre später der hoch angesehenen Académie Française.
In seiner politischen Laufbahn bekämpfte er nach 1839 als Abgeordneter den französischen Außenminister François Guizot (1787-1874), der eine Reform des französischen Wahlrechts ablehnte und damit zum Ausbruch der Revolution von 1848 beitrug. 1849 wurde Tocqueville für kurze Zeit Außenminister.
1856 veröffentlichte er mit Das alte Staatswesen und die Revolution ein Meisterwerk, in dem er nachzuweisen versuchte, dass die zentralistische und nivellierende Tendenz des französischen Absolutismus dem Gleichheitsgedanken der großen Revolution von 1789 den Weg bereitet habe. Nach dem Staatsstreich von Napoleon III. (1851), der mit Terror die französische Demokratie in ein Kaiserreich verwandelte, zog sich Tocqueville ins Privatleben zurück. Biografie: A. Jardin, Tocqueville: A Biography, 1998

Im ersten Band beschäftigt sich Tocqueville insbesondere mit der Soziologie des US-amerikanischen Staats. Er analysiert nicht nur die Struktur des Bundesstaats, sondern auch den Aufbau der Einzelstaaten, die er als Ergebnis ihrer ethnisch-geografischen und historischen Voraussetzungen beschreibt.

Er setzt sich mit der Allgewalt der Mehrheit in der US-amerikanischen Demokratie auseinander, die er als die grösste Gefahr für das Staatswesen betrachtet. In diesem Zusammenhang hebt er u. a. die Bedeutung des unabhängigen Rechtswesens hervor.
Mit dem 1840 publizierten zweiten Band beabsichtigt Tocqueville, allgemeine Züge demokratischer Gesellschaften zu zeichnen, von denen bis dahin noch kein vollständiges Modell existierte.

Er versucht, zur universellen Problematik einer demokratischen Weltordnung vorzudringen, wobei ihm die Demokratie in den USA lediglich als Folie dient. Dabei analysiert er Probleme, die auch in der Gegenwart nicht an Aktualität verloren haben, wie z. B. das Spannungsverhältnis zwischen den Prinzipien Gleichheit und Freiheit.

Tocqueville ist Empiriker und ein überzeugter Verfechter der Demokratie, die er für die neue, kommende Staatsform hält, vor deren Gefährdungen er allerdings warnen will.

[…] 

Ich halte den Grundsatz, daß im Bereich der Regierung die Mehrheit eines Volkes das Recht habe, schlechthin alles zu tun, für gottlos und abscheulich, und dennoch leite ich alle Gewalt im Staat aus dem Willen der Mehrheit ab. Widerspreche ich mir damit selbst? Es gibt ein allgemeines Gesetz, das nicht bloß von der Mehrheit irgendeines Volkes, sondern von der Mehrheit aller Menschen, wenn nicht aufgestellt, so doch angenommen worden ist. Dieses Gesetz ist die Gerechtigkeit.

Das Recht eines jeden Volkes findet seine Grenze an der Gerechtigkeit. 

[...]

Wenn ich daher einem ungerechten Gesetz den Gehorsam verweigere, spreche ich keineswegs der Mehrheit das Recht ab, zu befehlen; ich appelliere lediglich von der Souveränität des Volkes an die Souveränität der Menschheit. 

[...]

Was ist denn die Mehrheit im ganzen genommen anderes als ein Individuum mit Ansichten und Interessen, die meistens denen eines anderen Individuums, genannt Minderheit, zuwiderlaufen? 

[...]

Und niemals werde ich die Befugnis, schlechthin alles zu tun, die ich einem Einzelnen unter meinesgleichen versage, einer Mehrheit zugestehen. 

[...]

Es gibt auf Erden keine an sich selbst so ehrwürdige, keine mit so geheiligtem Recht ausgestattete Macht, daß ich sie unkontrolliert handeln und ungehindert herrschen lassen wollte. Sobald ich daher sehe, daß man das Recht und die Möglichkeit, schlechthin alles zu tun, irgendeiner Macht zugesteht, man mag sie nun Volk oder König, Demokratie oder Aristokratie nennen, man mag sie in einer Monarchie oder in einer Republik ausüben, sobald ich das sehe, sage ich: Das ist der Keim zur Tyrannei, und ich werde versuchen, unter anderen Gesetzen zu leben. 

[...]

Stellen wir uns dagegen eine gesetzgebende Gewalt vor, die die Mehrheit repräsentiert, ohne notwendig der Sklave von deren Leidenschaften zu sein; eine ausführende Gewalt, die eine angemessene Macht besitzt, und eine richterliche Gewalt, die von den anderen beiden Gewalten unabhängig ist; auch dann haben wir eine Demokratie, aber für die Tyrannei wird es kaum noch Chancen geben. 

[...]

Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, ausgewählt und hg. von J.P. Mayer, Reclam Verlag, Stuttgart

2006, S. 145 ff.


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