Dienstag, 15. Oktober 2013

Warum wir wieder lernen müssen zu empfinden




Dem Leben entfremdet: Warum wir wieder lernen müssen zu empfinden
[Gebundene Ausgabe]

Arno Gruen 



Konstantin Wecker

Liebe Freunde,
der große Psychoanalytiker Arno Gruen, den persönlich zu treffen ich mehrmals die Ehre hatte, hat ein neues Buch geschrieben.
„Dem Leben entfremdet“ spiegelt die Entwicklung seines Denkens, das mit dem Buch „Der Verrat am Selbst“ begann. In all seinen Büchern umkreiste Arno Gruen das „Wie“ unseres Seins. Bescheiden schreibt er: “ich glaube, dass das jetzige Buch diesem Ziel gerecht 
wird.“ 

Und wie!
Mir hat es die Augen geöffnet, wie seinerzeit „Der Fremde in uns“, ich habe durch dieses Buch erfahren, was ich immer schon geahnt hatte, aber nie so formulieren konnte, dass wir in dieser vollkommen durchkonstruierten Welt unfähig sind, lebendig, mitfühlend und empathisch die Wirklichkeit wahrzunehmen.
„Wir glauben, unser Denken sei realistisch, wenn es von Mitgefühl befreit ist, von der Fähigkeit Schmerz zu teilen, Leid zu verstehen, und vom Gefühl der Verbundenheit mit allen Lebewesen. Denken wir aber ohne Mitgefühl, dann leben wir in einer Scheinwelt aus Abstraktionen, die Kampf und Konkurrenz zu den Triebkräften unserer Existenz machen....

Diese Vorstellung eines Lebens ohne Mitgefühl ist auf Feinde angewiesen, ja, wir beginnen uns selbst durch das Feindbild, das wir heraufbeschwören zu definieren.“
Schon unsere Sprache, beweist er durch Vergleiche mit anderen, sogenannten primitiven Kulturen, ist eine Sprache die das Empathische mehr oder weniger ausklammert. Das abstrakte Denken, das Kognitive hat schon seit Jahrtausenden das Empathische in uns ersetzt und wir entfernen uns dadurch immer mehr von der gefühlten Wirklichkeit.Wie wirklich ist denn die Wirklichkeit?
Was ist Wirklichkeit?
Und zwar dann, wenn wir von Geburt an dazu angehalten werden, die Welt so zu sehen, wie man sie uns vermittelt und uns vorschreibt.
Sehr beeindruckend war für mich zu erfahren, dass früheste Kindheitserinnerungen in unserer Sprache nicht reproduziert werden können, da die Sprache der Erwachsenen keine Kategorien für die intensiven Erlebnisse hat, die so typisch für die frühe Kindheit sind.

„Was so viele der angeblich primitiven Völker von denen der großen Zivilisationen unterscheidet. ist ihre Vielfalt bezüglich der Wahrnehmung der Welt und ihrer sprachlichen Fähigkeit, diese wiederzugeben.“
Ich glaube deshalb habe ich mich schon in jungen Jahren zur Poesie so hingezogen gefühlt, bin ihr bis heute geradezu verfallen.In den schönsten Gedichten, zum Beispiel denen Rilkes, spürt man etwas von dieser anderen Wirklichkeit, der erahnten, eigentlichen, wahrhaftigen, nicht ausschließlich rational erdachten.
„Schmerz und Leid als Zeichen von Schwäche zu deuten, verfestigt deren Entwertung und zieht physiologische Konsequenzen nach sich, die sich wiederum in feindlichen Verhalten äußern.....
Schmerz und Trauer wurden Anathema, zum Verfluchten der patriarchal geprägten Welt. Die Trias Leid. Schmerz und Trauer wird aus dem Bewusstsein verdrängt und muss, weil sie ständig das Männliche bedroht, unterdrückt werden.“
Ein großartiges, ein großes Buch das die Augen öffnet. Eine Fundamentalkritik an unserer Zivilisation, geschrieben von einem 90 jährigen, weisen und warmherzigen Mann.
Ich kann Euch dieses Buch nur wärmstens empfehlen.
Konstantin Wecker

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