Der globale Minotaurus:
Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft [Kindle Edition]
Globalisierung, Gier und fehlende Bankenregulierung – sie alle wurden für die Krise der Weltwirtschaft verantwortlich gemacht. In Wahrheit sind dies nur Nebenschauplätze eines weit größeren Dramas. Eines Dramas, das in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wurzelt und bereits seit den 1970er Jahren auf offener Bühne spielt: als die Welt wider besseres Wissen begann, mit ihrem Geld den »Globalen Minotaurus« Amerika zu nähren – so wie einst die Athener dem mythischen Fabeltier auf Kreta Tribut zollten.
Heute sind die USA als Stabilisator der Weltwirtschaft selbst nachhaltig geschwächt, und die Konsequenzen des Machtvakuums zeigen sich allerorten. Sie machen vor allem eines klar: Stabilität in der Weltwirtschaft ist nicht umsonst zu haben; sie erfordert historische Entscheidungen – wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Hegemonialstellung Amerikas begann.
Statt hektischer Rettungsaktionen mit immer kürzeren Verfallsdaten ist eine grundlegende Debatte über Stabilitätspolitik, ist ein Neuanfang unvermeidlich.Über die Finanzkrise selbst und fehlende Lösungen dazu sind zahlreiche Publikationen erschienen. Yanis Varoufakis aber hinterfragt, wer letztlich die Schuld für die Finanzkrise trägt. (...) Ein Buch, das gelesen werden muss.
(Indira Gurbaxani, Süddeutsche Zeitung)
In verständlicher Sprache, die Makroökonomie fest im Blick und unterm Sattel die Bücher des John Maynard Keynes, macht Varoufakis sich ans Werk. (...) Ein kluger Befund zur Lage.
(Christiane Müller-Lobeck, taz)
Das Buch entschleiert unter anderem den Mythos des deutschen und japanischen Wirtschaftswunders, die weniger auf der angeblich jeweils so effizienten Arbeitskraft beruhen, als auf einseitigen politischen Entscheidungen der USA.
Und das größte Verdienst des Autors ist sicherlich, dass er unterhaltsam beschreibt, wie die 'freie Marktwirtschaft' dabei von wenigen Strategen aus Washington über Jahrzehnte genauestens geplant und staatlich gelenkt wurde.
(Roman Herzog, SWR2 Die Buchkritik)
YANIS VAROUFAKIS HAT SEIN BUCH “DER GLOBALE MINOTAURUS” AKTUALISIERT UND ZUM GRATISDOWNLOAD INS INTERNET GESTELLT. FALTER, 11. FEBRUAR 2015
Was wollen die Griechen wirklich? Werden sie sich mit einer Umschuldung und einem Ende der Austerity in ihrem Land zufrieden geben? Wie könnte ein Kompromiss aussehen?
Das sind die Fragen, die gerade die Schlagzeilen beherrschen. Gut möglich, dass sich die Syriza-Regierung am Ende mit halben Sachen zufrieden geben wird.
Gut möglich aber auch, dass sie ein viel größeres Reformziel vor Augen hat.
Um zu begreifen, welches das sein kann, lohnt es sich, sich mit den Plänen jenes Mannes zu beschäftigen, der binnen weniger Tage zu einer Zentralfigur der Eurozone geworden ist: mit den Ideen von Yanis Varoufakis, dem neuen charismatischen Finanzminister in der Tsipras-Regierung. Gerade tourte er durch Europas Hauptstädte, in Griechenland ist er längst der Darling der Herzen.
Und auch global stieg er wie eine Rakete zum Ökonomiestar auf: Der Guardian nannte den Ökonomen mit dem offenem Hemdkragen, der mit seinem BMW-Motorrad ins Ministerium fährt, “den coolsten Politiker Europas”, der “Businessinsider” machte den Sack dann zu, indem er ihn mit dem Attribut “interessantester Mann Europas” belegte. Die Superlative sind jetzt aufgebraucht, keine Steigerung mehr möglich.
Zur Coolnessdiagnose darf man wohl auch hinzuzählen, dass Varoufakis, kaum war er ernannt, die Veröffentlichung der Neuauflage seines Buches “Der globale Minotaurus” vorzog und gratis zum Download bei Amazon einstellte. Wer also einen Kindle hat, der darf jetzt kostenfrei runter saugen.
Varoufakis, der zuletzt als Professor in Texas an der Seite seines Freundes James K. Galbraith wirkte, zeigt sich in diesen Buch als brillanter Postkeynesianer mit einer großen Bewunderung für den US-dominierten Nachkriegskapitalismus – was, nebenbei gesagt, alle Charakterisierungen als gefährlicher Linksradikaler ziemlich absurd erscheinen lässt !!!
Varoufakis zeichnet eine große globale Analyse: Das Wunder der Nachkriegszeit war, dass eine starke hegemoniale Ökonomie, nämlich die der Vereinigten Staaten, alle Überschüsse der Welt aufkaufte, das globale Kapital anzog, aber weise genug war, diese Mittel in die schwächeren Staaten so zu reinvestieren, dass diese nach und nach selbst ihre Produktionsbasis erweiterten.
“Recycling der Überschüsse”, nennt Varoufakis das.
“Hegemonie unterscheidet sich von Beherrschung oder bloßer Ausbeutung, weil der wahre Hegemon weiß, dass er in die Fähigkeiten seiner Partner, Surplus zu produzieren, investieren muss.”
Auf diese Weise wurde nicht nur die Weltproduktion gesteigert, sondern auch die Nachfrage geschaffen, die nötig ist, um diese gesteigerte Produktion aufzukaufen. Amerika hat sich, obwohl dominierend, selbst beschieden, weil es begriffen hatte, dass das für die Stabilität des Systems notwendig ist und am Ende alle davon profitieren. “Selbstbeschränkung ist eine seltene und verstörende Tugend.”
Doch dieser Mechanismus ist heute zerbrochen.
Bis 2008 wurde er noch auf perverse Weise aufrecht erhalten. Deutschland, das stärkste Land Europas, hat seine Nachbarn und Eurozonen-Partner niederkonkurriert und Leistungsbilanzüberschüsse aufgebaut.
Die Partner konnten nur überleben, indem sie in die USA exportierten. Das aufstrebende China tat das selbe und baute seinerseits Leistungsbilanzüberschüsse auf. Die USA sogen die Überschüsse auf, indem sie exorbitante Budgetdefizite aufbauten und indem sich die amerikanische Haushalte hoffnungslos verschuldeten.
Doch seit Ausbruch der Finanzkrise ist der Mechanismus kaputt und nicht mehr auf herkömmliche Weise reparabel. Die USA türmen zwar Budgetdefizite in bisher unbekannten, astronomischen Höhen auf, können aber den globalen Nachfrage-Ausfall nicht mehr kompensieren.
Das Drama ist, dass die Eurozone als mögliche globale Lokomotive völlig ausfällt. Einerseits, weil Deutschland als stärkste europäische Ökonomie versagt, nicht zuletzt deshalb, weil ihr politisches Führungspersonal auf fatale Weise ignorant gegenüber ökonomischer Vernunft ist. Varoufakis, der in deutschen Zeitungen als Mann mit deutschlandfeindlichen Tönen porträtiert wird, plädiert in Wirklichkeit für ein “hegemoniales Deutschland” – also ein Deutschland, das in der Eurozone genau die Rolle einnimmt, die die USA lange für die Weltökonomie spielten.
Und zweitens, weil die Eurozone fatal falsch konstruiert ist, etwa mit einer Europäischen Zentralbank, aber ohne gesamteuropäische Fiskalpolitik und mit nationalen Fiskalpolitiken, die etwa der Bankenkrise überhaupt nicht Herr werden konnten.
Man stürzte sich panisch in eine Austeritätspolitik, die die Schulden nur mehr drückender machte, das Wirtschaftswachstum abwürgte und die Nachfrage zusätzlich ruinierte. Das Ergebnis ist eine katastrophale Abwärtsspirale.
Von den Schuldnerländern wird verlangt, ihre Schulden zurück zu zahlen, aber gleichzeitig werden sie daran gehindert, jene Einnahmen zu erwirtschaften, die das ermöglichen würden. Das ist auf beinahe schon kriminelle Weise dumm.
Varoufakis ist ein Mann mit einem Plan, am ehesten ein radikaler modernistischer Sozialdemokrat.
Nachdem ich ihn vor zwei Jahren im Wiener Kreisky-Forum zu Gast hatte, beschäftigte er sich eingehend mit der Figur Kreisky und schrieb danach auf seinem Blog als Antwort auf einen Kreisky-Kritiker:
“Ich bleibe bei meinem Enthusiasmus für den Mann Kreisky und bei meiner Überzeugung, dass Europa darunter leidet, dass wir zur Zeit keine Männer wie ihn in hohen Ämtern haben.”
Es ist völlig offensichtlich, dass Varoufakis ein solcher Mann sein will.
Robert Misik
20150213