Sonntag, 22. Juli 2012

Die molussische Katakombe




Die molussische Katakombe
[Gebundene Ausgabe]
Gerhard Oberschlick , Günther Anders
Günther Anders über das Entstehen seines Romans „Die molussische Katakombe“
„Molussien ist ein imaginäres exotisches Land, das ich Swift-artig im Jahre 1932 erfand, um in getarnten Erzählungen und in Pseudodokumenten den Mechanismus des aufkommenden Nationalsozialismus zu demaskieren.

In der Tat stand im Berliner Tageblatt am Tage des Reichstagsbrandes eine dieser Geschichten. Im Jahre 1933 war die erste Fassung fertig; Brecht übergab ein Exemplar dem damaligen Kiepenheuer Verlag. Dort wurde dieses Exemplar von der Gestapo geschnappt. Aber diese fiel auf die Tarnung herein und retournierte die angeblichen Südseegeschichten unter Entschuldigungen an das Verlagshaus. ─
Ein anderes Exemplar wurde von Berliner Freunden, in Pergamentpapier eingewickelt, zwischen Würsten und Schinken in einer Räucherstube aufbewahrt.
Dieses Exemplar hat mich dann im Pariser Exil erreicht und mit seinem Duft an vielen Hungertagen getröstet. ─ In der Tat habe ich während der Pariser und New Yorker Emigrationszeit noch viel an dieser Swiftiade gearbeitet.“ 



Jeder Leser der philosophischen und politischen Schriften von Günther Anders kennt eines der rätselhaftesten Länder der Literatur: Molussien.

Eingestreut in seine theoretischen Analysen der modernen Industriegesellschaft, versteckt in seinen Reflexionen über die atomare Bedrohung, eingeschmuggelt in seine Philosophie der Technik finden sich bei Anders immer wieder Sprichwörter und kleine Geschichten, fiktive Texte und Gedichte aus diesem nie näher bestimmten Land, so, als ob damit ernstzunehmende Belege für seine Thesen gefunden wären...
Was hat es mit dem Ur-Molussien wirklich auf sich? Molussien - das ist ein fiktives, von einem totalitären System beherrschtes archaisches und archetypisches Land am Vorabend einer Revolution. In seinen Gefängnissen, den Katakomben, erzählt seit Generationen immer der ältere Gefangene, der stets den Olo annimmt, dem jüngeren, dem Neuankömmling, der immer Yegussa genannt wird, die 'für die Fortsetzung des Freiheitskampfes notwendigen Lehren' in Form einer Reihe von politischen Parabeln, die der Ältere selbst einmal von einem Olo gehört hat; Yegussa muß sie auswendig lernen, um sie weiterzugeben, für jene Stunde, zu der die Wahrheit wieder ans Tageslicht wird treten können.

Wie in einer Stafette werden die Geschichten weitergereicht, die Gefangenen sind die 'Meldereiter' der Wahrheit. Und wie in 1001 Nacht wird, in der absoluten Dunkelheit der Katakombe, in der sich die Gefangenen nie sehen und die Wahrheit der Vernunft tatsächlich nur vernehmen, das Erzählen der Geschichten zur Methode des Überlebens, die sich erst am Schluß, als die Wirklichkeit die Parabelkette einholt, aufhebt.
Der letzte Yegussa nämlich, den der Leser kennenlernt, wird sein Leben für den Freiheitskampf opfern und damit einen Generalstreik und die siegreiche Revolution auslösen. Aufgeschrieben aber - und dies ist eine der pointierten Konstruktionen des Romans - werden diese Dialoge von den 'Angestellten des Terrors: den Gefängniskalfaktoren, die gezwungen werden, die Worte der Gefangenen Tag und Nacht abzuhören'.






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